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Bitte sei für mich was ich bin für dich

Du verurteilst mich, weil ich deine Anrufe jeden Samstagmorgen um 4:44Uhr ignoriere. Als würde ich unsere gemeinsame Zeit herabsetzen, weil ich augenscheinlich schnell über sie hinweg sei. Sam, Samuel, ist das genaue Gegenteil von Jules. Als er mich ansprach, wies ich ihn ab. Ronnie grinste asozial hämisch, als sie ihn das erste Mal sah: Blonde, lockige Haare, zuletzt geschnitten an unserem Wochenende in Wien, wo er herkommt und ich ihn kennengelernt habe. Selbst jetzt noch sonnengebräunt, rote Augen, breites Grinsen, vermutlich dürrer als ich, zumindest, wenn ich uns im Spiegel des Kaufhauses bewundere, in dessen Kanalisation ich gerade 4572kcal versenkt habe. Aber das Kleid in der Umkleide spannt noch immer zwischen meinen Hüftknochen, weshalb er jeden Toilettengang kritisch beäugt und ich jede selbstgekochte Mahlzeit ohne Kalorienangabe. Mittlerweile kann ich das - genauso schnell kotzen wie pinkeln. Die Bulimie ist irgendwie alltagskonformer als die Anorexie. Unauffälliger offenbar nicht. Nicht für jemanden, der selbst in Abhängigkeiten verfangen ist und genau deswegen die Klappe hält. Ein zerrissenes Touché Amoré-Shirt bei -5°, sehnige Hände wie ein Pianist, babyweiche Fingerspitzen, gezeichnet von der Abwesenheit von Kontakt mit körperlicher Arbeit, Löcher im Arm von Zigarettenstümmeln und einer fast spießbürgerlichen Bemühung um einen Spießrutenlauf für den 20€-Ertrag der Blutspende, zerstreute Blicke beim Bemühen, Sätze zu formulieren, Allen Ginsberg-Gedichtbände neben dem Bett. Wenn man sie aufschlägt, ein ausgehobenes Fach mit Tütchen voller Pulverchen und Pillen, Blättchen, Fläschchen, Kanülchen, Spritzchen. Vielleicht mag ich ihn deswegen, weil er das genaue Gegenteil von Jules ist. Beziehungsweise weiß ich nicht einmal, ob ich ihn mag. Ich rede mir nur ein, es sei keine Therapie gegen Jules. Was ich nicht an Sam sehe, sind Eigenschaften, die ich an ihm liebe, sondern jene, die ich an Jules hasse. Über ihn hinweg zu kommen, indem ich mich seinem Gegenteil zuwende, bedeutet letzten Endes, mich Jules selbst wieder zuzuwenden. Ich will Sam als Sam wahrnehmen, nicht als Anti-Jules. Wenn unsere Wege sich ab und zu noch kreuzen, da im Freundeskreis noch Sekanten bestehen, unsere Blicke sich tangieren, dann wenden wir sie nicht ab, sondern starren uns an. Weil man sich nicht mehr kennenlernen kann. Komm mir nicht mit "Wie geht es dir?" und dass du es bereust, dass du mich nicht in den Armen von diesem Junkie sehen willst. Nicht wir haben Schluss gemacht, du hast mich verlassen, du hast das uns aufgegeben und meine Probleme deine sein lassen. Die Gründe, die du mir aufgezählt hast, mögen nicht deine Schuld sein, aber die Unfähigkeit, sich ihnen anzunehmen. Sich beim Versprechen versprechen, Geschworenes in gestotterte Fragmente zerschlagen - irgendwie passte das.