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Blog-Archiv

Von Verwandten und anderen DeleTanten

Jeden Tag ein neues Türchen aufmachen, jeden Tag den Pfad des Familienstammbaums neu erkunden, jeden Tag vor einem neuen Weihnachtswunder stehen, jeden Tag einem anderen Teil der Vergangenheit in die Augen blicken. Oh Gott, und dieses scheiß Tote Hosen Weihnachtsalbum soll den Soundtrack dazu bieten? Den habe ich seit mindestens 4 Jahren nicht mehr gehört, sowieso nie aktiv, immer nur passiv am Feuer sitzend aus der Ferne, um diese beschissene vermeintliche Stille Nacht auszublenden. 4 Jahre dürfte es auch her sein, dass ich das letzte Mal in Schweinfurt war. Jetzt sitze ich hier fest, komme irgendwie nicht mehr raus, könnte jeden Tag ins Auto steigen, aber was zieht mich eigentlich? Andere Frage: Was hält mich im buchstäblich gottverlassenen Schweinfurt? "Kultur und Industrie" wie die braunen Tafeln es an der Autobahn verkünden? Was hält mich in Nürnberg, das habe ich mich im Gegenzug nie gefragt, trotzdem bin ich immer wieder zurück gekommen. Ja, warum eigentlich?
Ein bisschen auf der Suche sein schadet nie, das lenkt einen ab. Auf der Suche nach meinen Horkruxen wie Harry Potter: Teile meiner Seele irgendwo universal verborgen. Station heute also: Der Vergewaltiger, der das Segment meiner Seele anno 2000-2005 für sich beansprucht, das ich jetzt ganz wahnwitzig wieder finden will - wie hirnrissig es war, Kleinstadtdetektiv zu spielen! Hohen Mutes mit hoch erhobenem Kopf ziehe ich jeden Morgen los, um endlich einmal zumindest die Adresse auszumachen, in der der böse Wolf sich nun den Bauch voll schlägt. Der Tag endet mit gesenktem Kopf auf dem Sofa von irgendwelchen Freunden, deren Gastfreundschaft ich mit Glücksrad-Zentrifugalkraft ins Unermessliche erschöpfe und die Tote Hosen Weihnachtsalben für besinnlich halten. Bei jedem Hochhaus blicke ich zu den gelben Baukästen-Fenster-Konstruktionen empor, die Pianohiebe von Running to Stand Still im Trommelfell  und der innere Kompass leitet mich irgendwie immer in verlassene Korridore in willkürlich besuchten Betonbauten, doch niemals auf die Fußspuren vor mir. In jedem schneebedeckten Auto suche ich nach verwandten Zügen und erschrecke jedes Mal, wenn ich diese finde, in der Reflektion meines eigenen Gesichts. Der Himmel brennt /alles weiß / die Lunge brennt / von all dem Dreck - zumindest wird das von FJØRT erzählt.
Endlich mal das Einwohneramt aufsuchen, oder die Auskunft anrufen oder zumindest mal in den Relikten namens Telefonzellen im Telefonbuch die Nummer zwischen Pisse und Kotze der letzten zehn Jahre (dort, wo sie hin gehört) suchen - sie zu wählen ist ja wieder was anderes. Man sieht, die Bemühugen halten sich in Grenzen. Selbstgerecht kann ich mir ja anrechnen, so viel Aufhebens gemacht zu haben, nach Schweinfurt gereist zu sein. So viel Mühe sollte es nicht sein, die Adresse auszumachen - der Nachname ist immerhin derselbe.