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Ersatzmenschen

Ich bin ein Ersatzmensch. Das habe ich letzte Woche in der Gruppentherapie gesagt, die ich unregelmäßig besuche, bzw. eher regelmäßig schwänze. Es sind nur Essgestörte, es geht immer nur ums Essen, die Nicht-Esser fühlen offenbar nicht oft den Drang, sich mitzuteilen.
Ich bin ein Ersatzmensch. Ersatzmenschen wie ich sind keine besten Freunde. Wir sind immer nur die, auf die man zukommt, wenn man gerade niemanden zum Reden hat. Wir sind immer nur die Ansprechpartner, wenn es um Notstände geht. Denn wir sind Ersatzmenschen, wir kennen Notstände. Ersatzmenschen füllen die Momente der Leere, wenn karmische Energie Kurzschlüsse erleidet. Ich bin ein Ersatzmensch, wir sind immer zweite Wahl. Ich bin ein Ersatzmensch, denn ich nehme einer anderen, ungeborenen Seele den Platz weg. Ich bin ein Ersatzmensch, ich trage das Passiv in meiner Identität, und ich bin auch kein Nominativ, sondern eigentlich sogar ein Ablativ. Ich bin einer der Ersatzmenschen, wir sind eine Armee. Man erinnert sich schwer an uns, aber wir sind auch nicht zu vergessen. Wir sind die Substitution, das Surrogat und die Reserve. Können wir kompensieren, nein, wir können nur trösten und wie Schorf abgekratzt werden. Wir sind die Dicken'schen Supertramps, die nirgendwo und doch irgendwo sind, die zwischen den Zeilen leben und an Lungenkrebs sterben, wenn wir den Duft des Lebens in uns aufgesogen haben. Die Schattenspringer. Wir sind diese Ersatzmenschen, die ersetzbar sind. Wir sind die Ersatzmenschen, die für nichts stehen. Ich bin ein Ersatzmensch, ich führe keine Beziehungen, ich bin immer nur Platzhalter oder Überbrückung. Aber du hast mir gelehrt, dass selbst Ersatzmenschen Äquivalenten sind. Wir springen, aber wir bleiben. Und wir bleiben gleichwertig.

Alchemie

Es gibt mich noch, ich habe nur das Gefühl, in einem anderen Aggregatzustand. Geschmolzen, zu Luft geworde und resublimiert in eine andere Gießform. Wie war das mit dem Energieerhaltungssatz? Irgendetwas ist auf der Strecke geblieben, und trotzdem bin ich stärker denn je. Wie können wir uns sicher sein, dass wir uns verändern, wenn wir doch nicht über den Aggregatzustand unserer Seele im Klaren sind?
Ich lese wie ich esse. Ein Bedürfnis und ein Sehnen besänftigen, die Substanz in sich aufnehmen, zu Fleisch werden lassen. Du kannst einen Apfel oder Kaviar essen. Aber selbst der genüsslichste Kaviar beibt einem manchmal im Halse stecken (dies sage ich, ohne jemals den Geschmack von Kaviar verinnerlicht zu haben, aber ich rede ja auch nicht von Kaviar).
Diese forschen Metaphern, die vorgeben, Banalitäten zu veredeln. Ja, Scheiße wird gasförmig und schon ist sie ein Edelgas, weil sie eine Metapher ist. Aber sind wir ehrlich - Metapher ist ein Synonym für Fiktion. Prétextat Tach nennt es Wachsabdrücke von Toten. Zur Hölle mit Metaphern, die Metaebene kann mich mal!
Kannst du jemals einen Apfelbaum mehr ansehen ohne den Geschmack von Apfelkernen auf der Zunge zu spüren, den Geruch von Sommer und die Hitze auf deiner Haut? Und noch viel wichtiger: Kannst du jemals wieder Kaviar essen, ohne an Imanuel Kant zu denken?