Meine Mutter fuhr einmal ein Reh an, rief den Jäger an, damit er ihn schnell mit einen Schuss aus den Schmerzen reißen konnte. Ich meinte zu sehen, dass es weinte, das Reh. Der Tod, er muss friedlich sein, denn der Schmerz ist etwas irdisches. Man wird zerbrechlich, Lebenskräfte vereinen sich und treten gemeinsam über die Schwelle, ein spirituell aufgeladener Moment, so heißt es immer.
Wie werde ich sterben?
Ich habe es mich oft gefragt.
Nie älter als 27 werden, das war mein Ziel und ist es in geheimen Ecken meines Seins immer noch. Vielleicht kein Ziel, eher eine Angst.
In einem weißes, unschuldigem Kleid, ohne Blutvergießen, und mit einem großem Schrei, so wie es angefangen hat. Ich gieße mir ein Glas Rum ein. Ein verziertes Glas mit Wänden wie Kristallen, in denen sich morgens Prismen bilden und selbst Wasser so psychodelisch wirkt, wie das Cover von Pink Floyd; wie ein russisches Ornament oder ein Kaleidoskop. Halb voll und halb leer, ich schenke lieber noch einmal nach. Rum. Rum, der im Halse brennt; nein, kein Rum. Ich gieße mir keinen Rum ein. Wein. Nein, keinen Wein. Unscheinbaren Wodka. Nein, keinen Wodka. Ob Alkohol den Tod oder den Weg dorthin beeinflusst? Torkelt man dann genauso unkorrdiniert über die Schwelle wie jeden Sonntagmorgen über die des provisorischen Eigenheims? Macht Alkohol die Reise erträglicher? Desinfiziert er die Wunden in mir? Betäubt er?
Reset. Ich gieße mir ein Glas Wasser ein. In das Pink Floyd-Glas. Nachschenken. Flasche an die Tischkante stellen.
Ich reihe die Tabletten nebeneinander auf, sortiere sie nach Farbe, Form, Größe, Gewicht. Ein Regenbogen. Wie Tetris staple ich das reiche Spektrum an Sedativa, Narkotika, Stimulantia, Psychodelika, Amphetaminen, Opiaten und Opioiden, die alle die Sterne vor den Augen vielfältig ausmalen, sorgfältig vor mir mit gleichen Abständen zueinander aufeinander, nur um sie danach mit einer Handbewegung auf einen Haufen zu räumen, in meine Handfläche zu legen, und zum Mund zu führen. Auf einmal stopfe ich sie mir in den Mund, spüle sie mit dem brennenden Wasser die Kehle herunter. Nein, nein,
reset.
Ctrl + A + Delete. Ich will nach den Sternen greifen, ich will sie mir auf der Zunge zergehen lassen, einzeln, die Dosis durch mein Knochenmark prickeln hören, bis es alles verätzt ist. Mit jedem Zug schlucke ich einen Teil meines Selbst herunter. Während ich die zweite Tablette fast mechanisch auf die gereizten Knospen meiner Zunger lege, überlege ich. Sie bleibt am Gaumen hängen, rutscht unter das Schmeckorgan, löst sich auf wie ein Brausebonbon vom Rummel. Keine Zuckerwatte für mich, nur Bitterkeit, und bitter schmeckt der Wodka. Ein anderes Bitter, als die Bonbons aus meiner Erinnerung. Ich schreite zum Schriebtisch und ziehe ein leeres Blatt Papier heraus. "Liebe Mom. None of this is your fault."
Ctrl + Delete.
Ich nehme noch eine Tablette, führe sie zum Mund und spüle sie sofort herunter. "I never thought I'd die alone. Another 6 months I'll be unknown" Ich drehe lauter auf, der Nachbar hämmert an die Wand, die uns trennt. Immer lauter, schalte ihn aus und das Dröhnen und Ringen in meinen Ohren, das Pochen des Bluts in meinem Kopf. Bis das Blut gerinnt und tanzt. Will ich riskieren, dass er mich frühzeitig findet und abhält? Ich nehme zwei Tabletten auf einmal. Zurück zum Schreibtisch. "Dear Jules," Eine Träne rollt über meine blutleere Wange. "You opened closed doors and you turned up the volume of my heartbeat.
I'm sorry." Schriftgröße 64↑ "SORRY"
Noch 5 Tabletten und den Rest des Wodkas. Ein Krachen, die Pforte öffnet sich. Doch hinaus kommt kein Engel gestürmt, sondern der Nachbar.
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