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Blog-Archiv

Footprints

Durch die Straßen wandeln, schon immer habe ich es geliebt. Noch nie aber habe ich mich dabei wie ein Geist gefühlt. Ein weißes Gewand spannt sich über meine Knochen, wie ein fremdes Gewand, fast einer Zwangsjacke gleichend, denn wer hat mich gefragt, ob ich es tragen möchte? Kaum präsent bin ich, und wenn sie durch die Lücke zwischen meinen Beinen die Welt hinter mir betrachten, so fühle ich mich unsichtbar. Sie sehen durch mich hindurch und ihre Blicke bleiben nur an den kratzigen Oberflächen des Schorfs hängen, welcher sich auf Wange und Stirn nur sehr langsam zurück bildet. Wenn ich mich durch unsagbar schmale Gassen zwänge, so bleibt allerhöchstens mein Kleidersaum hängen, jedoch hält mich sonst nichts davon ab, durch Wände zu gehen. Schwebend leicht, ja so bin ich, und so ist das Leben. Nichts hält dich auf dieser Erde, du trägst keine rasselnde Kette am Bein, du kannst beim nächsten Luftzug hinfort getragen werden. Vergänglichkeit beschreibt nicht die Tatsache, dass du eines Tages welk wirst, vergehst und verrottest; sie beschreibt den Vorgang, wenn du mit Wurzeln aus dem Boden gerissen wirst, den du einst so betonfest zwischen deinen Zehen gespürt hast. 'Wieder auferstehen', es fühlt sich komisch an, so unnatürlich. Es fühlt sich nicht nach mir an; als wäre ich mit einer anderen Seele wieder erweckt geworden.

Toter Winkel

Es gibt keine Flucht vor dem Schuldbekenntnis außer durch Freitod. Und der Freitod ist ein Schuldbekenntnis.
Daniel Webster

Der feuchte Nebel steht auf dem Asphalt, und aus dem mysteriösen Nebelschwaden taucht wie in einem Film die schwarze Gestalt auf. Eine Silhouette, ihre Bewegungen verschwimmen fast mit den Wassermolekülen, die in der Luft tanzen, so hastig und flüchtig sind sie. Sie eilt zur Tür, verschwindet aus meinem Blickfeld, aber genau in diesem Moment klingelt es. Schweren Mutes laufe ich zur Tür, hebe den Hörer und drücke auf den roten Knopf, ohne mich zu versichern, dass es Ronnie ist. Ihre Schritte tröpfeln die Treppen hoch und das Echo versickert in Dimensionen, denen ich mir nicht bewusst bin. Sterben Töne? Ihre Haare sind nass und fallen ihr strähnig ins Gesicht, als sie vor mir zum Stehen kommt und den Kopf senkt. Mit einer zittrigen Handbewegung streicht sie es sich hinter ihre Ohren. Sie sind etwas spröde, aber durch das Wasser glänzen sie rötlich im schwachen Licht. Sie hat viel verloren, aber ihre Schönheit kann sie selbst in schlimmsten Zeiten nicht unter weiten Klamotten und Trauer verbergen. Ihre Haut ist etwas blasser als sonst, aufgedunsen als ob sie einige Tage im Haus verbracht hätte, ohne auch nur einmal einen Schritt vor die Tür zu setzen, oder in stickigen Clubs mit viel Alkohol. Die Temperaturveränderung lässt ihre Wangen erröten, ein rosiger Farbton, der an Kindheitserlebnisse erinnert. Kein Lächeln verflüchtet sich auf ihren Lippen, keine Umarmung, keine herzliche Begrüßung, die so aufrichtig klingt, dass mir jedes Mal fast die Tränen kommen. Ich bekomme keine, denn sonst wäre sie nicht aufrichtig. "Ich packe das nicht! Warum sterbt ihr alle?" Sie meint diesen Satz nicht sarkastisch. Ich spüre ein Stechen im Herz, wie so oft in letzter Zeit, aber dieses Stechen ist anders, es trifft am falschen Punkt, wo die Ärzte nichts machen können. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. "Aber ich lebe doch", flüstere ich. "Halt die Fresse, Ellie! So was kannst du mir ersparen! Was hast du dir dabei gedacht?" Ich senke den Kopf und schweige. Im Treppenhaus verkommen die letzten Fetzen ihrer Wut, ein paar Mal wiederholen sie sich, stoßen sich von den Wänden ab; dann geben sie es auf. "Hast du ihn gesehen?" Ich höre sie kaum, so leise stolpern die Worte über ihre Lippen. Sie springen von der Klippe und breiten die Arme aus, wartend auf den Aufprall in den Wellen. "Ronnie - ich..." - "Hast du ihn gesehen?" Keine Selbstmordspringer mehr, sondern Klingen, die sie mir an die Kehle hält. "Ich würde dir gerne etwas von NAhtoderfahrungen berichten, ehrlich. Aber ich habe nichts gesehen. Kein Licht und auch nicht -" Ich brauche den Namen nicht aussprechen, er schwebt bereits im Raum.

  

Recovery & Regression

Ich hoffe, es ist einigermaßen verständlich, wie schwer es mir fällt, hier einen Anfang zu machen; Dinge zu erklären, die Ereignisse in Worte zu fassen. Es hat seine Zeit gedauert, wieder zu mir zu finden, und der Prozess ist noch nicht einmal annährend abgeschlossen. Ich hoffe, ihr findest schneller Zugang, als ich.
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Ich hatte aufgehört zu essen - ich hatte aufgehört, zu arbeiten - ich hatte aufgehört, das Haus zu verlassen - ich hatte aufgehört, den Hörer abzuheben - ich hatte aufgehört, aufzustehen - ich hatte aufgehört, mich zu waschen. Es hing alles in einer Kausalitätskette zusammen, wie durch unsichtbare Spiegelstriche verknüpft. Ich wollte mich frei machen, frei von allen, von allen Konventionen, Zwängen und Bedürfnissen: Selbstbestimmung - Selbstrichtung - Selbsthinrichtung.

Und dann hatte ich aufgehört, frei sein zu wollen. Ich hatte aufgehört, zu atmen. Punkt - Semikolon

Ein Rückschlag, dieses Wort beschreibt nicht im entferntesten die Wucht, mit der man zurück auf Los geschleudert wird. Es ist kein Stoß zurück auf einem ebenen Spielbrett, und man zuckt mit den Schultern, verdreht mit rationaler Lässigkeit die Augen und lässt die Spielfigur aus der Vogelperspektive wieder fortschreiten. Es ist ein Pistolenschuss, der mitten in Herz trifft, der zurück in ein Loch schleudert, ein Kellerloch, in dem man festgehalten wird, und das Licht ganz oben scheint noch nicht einmal hell genug, um es anzustreben. Von Erholung ist nicht zu reden, denn es gibt nichts mehr zu holen. 

Es stimmt nicht, dass einem beim Sterben die Bilder seines Lebens vorbei ziehen. Man sieht nur Schwarz. Kein Licht, einfach nur Schwarz.
Diejenigen, die die Bilder an sich vorbei ziehen sehen, sind die Menschen, die zurück bleiben.
Manchmal muss das Herz erst aufhören zu schlagen, um die Liebe wiederbeleben zu können, die einen am Leben hält.  Die Liebe zu den Mitmenschen und zum Leben und zu sich selbst. Die Liebe, einen zweiten Geburtstag feiern zu können.