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Blog-Archiv

Ich lasse mir doch von der Realität nicht vorschreiben, was ich wahrnehme!


So verständnisvoll und respektvoll er sein mag, aber Jules ist einfach kein "Insider". Es ist hart, das so zu formulieren, aber jemand, der noch nie in einer psychiatrischen Anstalt war, noch nie dem Antlitz des Wahnsinns hinter dem getrübten Auge gegenüber stehen musste, der weiß es nicht besser.
"The distance between insanity and genius is measured only by success.", heißt es im Film Der Morgen stirbt nie.
Er versteht es nicht, warum Menschen ihre Medikamente absetzen, wenn sie doch diagnostiziert sind mit einer ernst zu nehmenden Krankheit.
Ich habe einmal ein Buch über Nikola Tesla gelesen. Es wurde beschrieben, wie Tesla in seiner frühen Kindheit Bilder sah, lebhafte Bilder durch eine solche Fantasie gezeichnet, dass er sie kaum von der Wirklichkeit unterscheiden konnte. Was würde mit einem Jungen in unserer Zeit passieren, der Bilder sieht und Zahlen hinter Dingen, die für manch einen Erwachsenen nicht zu dekodieren sind. Man würde ihn zum Arzt schicken, in die Therapie, in die Psychiatrie, er würde als psychotisch oder schizophren abgestempelt werden, man würde ihm Medikamente verschrieben, die seinen Verstand lähmen und die besondere Funktionsweise seines Denkens würde ausgeschaltet werden. Sie würden ihn ermüden, und irgendwann wäre er zu müde, sich dagegen zu wehren. Er würde nie Erfinder werden. Heute wollen Ärzte nur noch, dass wir uns immer ähnlicher werden, dass wir uns anpassen und unsere Fähigkeiten einstellen,  dass wir uns koprimieren.

Ein Internet-User schrieb einmal:
Not sure why I feel this way, but I do just the same. Tried the meds, made me so sick, I'd rather be dead than warmed over from the side effects.

His Infernal Majesty

Als ich jünger war hatte ich selten wie andere Teenager Poster von Stars an den Wänden hängen. Nicht, dass ich meine Idole hatte - ich hatte einen Haufen, denn ein Leben, das auch nur ansatzweise anders war, als meines und dann auch noch prunkvoll und scheinbar perfekt, begeisterten mich tagtäglich. Sie ließen mich in Tagträumen versinken, wie es wäre, sie zu sein, und meinem Leben zu entfliehen. Ich lag stundenlang auf meinem Bett mit geschlossenen Augen, um nicht die Zeilen an der Wand zu sehen, die meine Mutter mit verschnörkelten Lettern schon vor Jahren selbst dort hin gemalt hatte: "Oh erbarme dich meiner, denn nur dich kann ich meinen Vater nennen, weil ich auf dieser Erde keinen väterlichen Schutz bekomme. Ohne deinen Willen können sich keine Wolken am Himmel versammeln, ohne deinen Willen zuckt kein zuschlagender Blitz durch die Wolken. Ohne deine Zustimmung vermag kein Sturm auch nur ein einziges Blümchen auszureißen - wenn du es nicht willst, kann auch dem schutzlosen kleinen Schwalbennest unter der Dachtraufe nichts geschehen. Wovor sollte ich mich fürchten, wenn du bei mir bist?" - aus Mirjam.
Einmal, da hing ich ein Poster auf. Es war ausgerechnet Ville Valo - His Infernal Majesty. Und ich konnte mich weder vor seinen Augen umziehen, noch schlafen, immer hatte ich das Gefühl, beobachtet zu werden, angestarrt zu werden, verfolgt zu werden, wohin ich auch ging. Ich war so paranoid, dass ich vor dem Duschen seine Augen verhing. Abhängen wollte ich das Poster nicht, immerhin hatte ich nach langer Zeit vor meiner Mutter durchgebracht, überhaupt eines aufhängen zu dürfen. Aber eines Tages sah ich über meinen Stolz hinweg und nahm ich es doch herunter, in der Hoffnung, ich würde endlich schlafen können. Meine Paranoia verschwand nicht, und erst da wurde mir bewusst, dass es nicht an Ville Valo lag, dass ständig wachsame Augenpaare auf mir lagen und mich verfolgten, ob ich richtig oder falsch handelte.

Club der toten Liebenden

Deinen Vater hast du nie kennen gelernt, weil er dich und deine Mutter einfach im Stich gelassen hat, wie kannst du da von Liebe ausgehen? Deiner Mutter war der Alkohol wichtiger als du, wie kannst du da von Liebe sprechen? Das Wort Liebe gibt es ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr in deinem Wortschatz. Bis zu einem bestimmten Zeitpunkt meinst du, dass Liebe nicht existiert. Du siehst sie, diese roten Herzen am Valentinstag, und fragst dich, warum Menschen es nötig haben, sich ihre Liebe zu beweisen. In deinen Ohren hört sich "Liebe beweisen" an, wie sich in einer Prüfung beweisen, um in einen bestimmten Club oder eine bestimmte Gruppe zu kommen. Der Club derjenigen, die behaupten, zu w i s s e n, was Liebe ist, obwohl sie sie doch allerhöchstens gespürt haben! Du siehst sie, die Besserwisser, wie sie ihre Hintern zu Coldplay aneinander reiben wie Bäume, die vom Wind gefickt werden. Du wächst in einem Haushalt auf, in der die Liebe zu Jesus so groß zu sein scheint, dass für dich kein Platz mehr ist, und der Lebensinhalt deiner Mutter besteht darin, sich jeden Tag das Blut Jesu anzunehmen und den Rachen hinunter zu schütten. Die Gedanken schießen dir in den Kopf, während dein Freund sich gerade das Shirt über den Kopf zieht, seine Lippen auf deine krachen, und du sie kaum mehr spürst, weil sie so sehr pochen. Er drückt dir das Blut im Unterkörper ab, weil er sich auf deinen Bauch gesetzt hat, und das Blut rauscht dir in den Ohren wie der Verkehrslärm vor der Tür. Seine Hände kratzen wie Sandpapier auf deinen Wangen und du bist fast schon erfreut, als er dazu übergeht, deine Brüste in dein Gehirn zu pressen. Die Erinnerung an ein kleines Kind, das du am Vormittag noch in den Händen hieltest und dich mit einer bedingungs- und grundlosen Seeligkeit anschaute, schießt dir in den Kopf, sodass du gar nicht merkst, dass er innehält, sich zu dir herunter lehnt und deinen Blick einfängt, um seine Worte zu intensivieren. Ich liebe dich. Ohne auf eine Antwort zu warten streicht er dir über die Wange, und du meinst, die Bräune seiner Handflächen zu spüren, die sich wie flüssiges Karamell auf deiner Haut anfühlt. Seine Lippen wie die Rosenblätter in den Sammelstätten der Clubmitglieder. Sein Körper an deinem ist so warm, vielleicht ist es die physikalische Reibung der statischen Elektrizität, aber vielleicht ist es einfach der Funke zwischen euch, der das Licht spendet, um das Unsichtbare zu sehen. 

Carcinosinum

Sie war eines dieser bestimme Mädchen. Eines derjenigen, die von ihrer zerbrochenen Familie weg lief, die sie einfach nicht wieder gerade rücken konnte. Nichts, was sie tat, änderte irgendetwas. Nichts, das sie sagte, auch wenn es ein stummer Schrei war. Nichts, was sie nicht gegen sich selbst richtete, hatte Wirkung. Und so lernte sie, wie man die Welt änderte. Man änderte sich selbst. Ihr Körper wurde das Schlachtfeld, das Aushängeschild des Innenlebens der Familie. Überall Kratzer, Wunden, Einschnitte, Sprünge, Risse, Brüche. Höhen und Tiefen, wie Temperaturamplituden war das Familienleben: Manchmal warm, manchmal vereist. Manchmal hungrig und abgemagert, aber auch zu anderen Zeiten üppig und wohl genährt. Manchmal rund, manchmal eckig. Eines Tages lief sie weg, und kam nie wieder nach Hause. Das zu Hause war nicht mehr das, was es einmal war. Sie lebte geschlagene 14 Monate in einer Klinik, zwischen Angel und Tür, niemals dort, aber auch niemals da. Dann lebte sie in einem Heim. Dann bei irgendwelchen Männern, die in der Nacht ihre Wunden verschlossen. Sie lag wach, als ihre Wunden mit stechenden Fingern zurückverfolgt wurden. Die zerklüfteten Einbuchtungen ihrer Vergangenheit wurden eingekesselt und mit Lippen geküsst, als wären es Trophäen. Sie war eine Lücke, die jeder misste. Ihre Augen waren weiter weg von einer Kindheit, als ihr Herz von der Hoffnung. Gebete sprangen von der Klippe ihrer Lippen wie Lachen; sie glaubte nicht an sich, aber in Jesus mehr als alles andere. Zu viele Dinge hatten sie in die Knie gezwungen. Auch wenn der Spachtel die Löcher in ihr nur unnatürlich und kurzfristig schließen konnten, und so fremd erschienen, hielt es sie immerhin fest und zusammen, bevor sie zerbrechen konnte. Destruction is a form of creation, sagte sie oft.
Sie sagte es. Sie war eines dieser bestimmten Mädchen. Sie war es.
Ich vermisse sie. 

Rape me, Rape me my friend

Das erste Mal, als meine Mutter das Wort "Rape" in den Mund nahm, da dachte ich, es würde 'rauben' bedeuten. Wenige Monate später erfuhr ich die echte Bedeutung. Denn ich war um das Wertvollste beraubt worden, das ich besaß. Ein Dieb zwischen meinen Beinen. ">Manche Frauen achten darauf immer schöne Unterwäsche zu tragen, für den Fall, dass sie einen Unfall haben. Ich achte darauf, immer schöne Unterwäsche zu tragen, für den Fall, dass ich vergewaltigt werde.", schrieb eine Frau in einem Buch, das ich einmal las, zu einer Zeit, in der ich mir noch in anderen Schicksalen Trost und Weisheit erhoffte. Ich weiß nicht mehr, welches es genau war. Ich gehöre nun zu einer Statistik. Ich bin eine stille Zahl in einer Statistik, eine stille. Es kam nie zur Anzeige, ich war ja nur 10 Jahre alt. Er gab diesen Kleidungsstücken eine neue Bedeutung. Diese Unterwäsche trug ich nie wieder. Ich trage ihn in mir, denn er war der erste und nicht der Letzte, der meinen Körper so kennen lernte. Aber ich besitze die Unterwäsche noch immer. Ich trage ihn mit mir, weil ich die Narben mit mir trage. Sie unterscheiden sich zwischen den geraden, geplanten Narben aus meiner Hand. His bruising kisses, nannte ich sie damals in einem Gedicht. Seine Fingerspitzen, gelb, hinterlassen gelbe, grüne und Blaue Flecken auf meiner Haut. Seine Fingerspitzen, gelb, in einem Moment die Zigarette in der Hand haltend, im anderen meine Oberschenkel, um sie zur Seite zu pressen. Seine brüchigen Nägel, die sich in mein weniges Fleisch bohren, tiefer, als er glaubt, und die Abdrücke werden für immer bleiben. Blood stains, not that it matters, what remains is perfectly scattered. Bedeckte, hilflose Arme, die sich wehren wollten, aber er legte mir Fesseln an, die bis heute nicht gelöst sind. Er sah die roten Tränen, aber er leckte sie nur auf und ergötzte sich an ihnen. Tiefgehenden Streicheleinheiten, die tiefer unter die blasse, sonst so hauchzarte, schleierhafte Haut gingen. Man sieht noch immer die einst blutigen Liebesgeständnisse auf meiner Haut. Niemand hat sie bisher zu sehen bekommen. Und diese, die es sahen, dachten, ich hätte sie mir selbst zu gefügt. Meine Schuld. Ich wollte es ja. Ich habe es heraus gefordert.
Jedes Mal, wenn ich Jules in die Augen blicke habe ich Angst. Man hat mir mehr als neine Jungfräulichkeit geraubt. Man hat mir meine Freiheit geraubt. Die Freiheit, ein unbelastetes Leben führen zu dürfen.

Black Hole Sun

Er hatte dieses Soundgarden-Shirt getragen, und ich trage noch immer genau diese Erinnerung mit mir, wie es sich über dem Muskelspiel seiner breiten Schultern abzeichnete, während er mein Gesicht mit seiner Hand gehalten hat. Er sitzt in diesem Café und kritzelt auf der Serviette herum, die neben ihm liegt. Ich kann durch das Glas sehen, dass er den Stift hält wie damals. Er weiß gar nicht, wie viele 1 Uhr-morgens ich damit verbrachte, mir exakt diese Situation auszumalen. Wie es wäre, wenn ich noch einmal von vorne beginnen könnte. Wie er wieder in diesem Café sitzt und auf einer Serviette schreibt. Er war täglich angekommen mit diesen dünnen Stücken Papier und philosophierte über seine Servietten-Poesie, die man genausogut in Glückskeksen findet. 
Sein Haar ist kürzer, sein Gesicht sieht aus, als hätte er lange Zeit damit verbracht, Gründe zu finden. Er legt seinen Kopf zur Seite und ich sehe die hellen Linien, die sich vom Sonnenlicht versteckt haben, wenn er die Stirn gerunzelt hat. Die Grübelei ist ihm ins Gesicht tätowiert. Ich sollte das Lokal betreten, mir einen Kaffee kaufen, mich neben seinen Tisch stellen, ihn mit einem selbstbewussten Hallo auf mich aufmerksam machen, und ihn fragen, ob ich mich zu ihm setzen dürfe, weil alles voll besetzt ist. Er hebt seinen Kopf, schaut sich um. Ich frage mich, ob er sich beobachtet fühlt oder auf jemanden wartet. Ich frage mich auch, warum er so eine ausgeprägte Mimik hat, wenn er schreibt. Warum seine Augenbrauen ihre eigene Sprache haben, wenn seine Augen in einer anderen Welt versinken. Ich frage mich, über wen er schreibt. Er nimmt einen Schluck Kaffee – ein Stück Zucker, zwei Spritzer Milch -, bevor er wieder abtaucht. Er sitzt alleine in einem Café, mit seinem Soundgarden-Shirt, seinem Kaffee und seiner Serviette. Es ist eine lange Zeit her, aber trotzdem erscheint dieser Moment so nah. Ich habe Angst, den Laden zu betreten und in seine Augen zu sehen, denn ich befürchte, ich würde nie wieder meinen Weg heraus finden. Nachdenklich wende ich meinen Blick ab und gehe weiter. Es schmerzt zu wissen, dass sich das Bild in den letzten Monaten nicht verändert hat. Es schmerzt zu wissen, dass er immer noch daran fest hält, dass seine nikotingelben Finger niedagewesene Poesie produzieren. Es schmerzt, dass Menschen sich nicht ändern und nichts dazu lernen. Es schmerzt, dass ich ihn in zwei Jahren immer noch im selben Café mit einer anderen Serviette antreffen werde. Und er wird seine Serviette weiterhin beschreiben wie ein weißes Blatt Papier, mit überzeugter Unschuldigkeit und dem selbstgerechten Lächeln auf den Lippen. Das Traurige daran ist, dass diese Servietten nicht mehr wert sind als Abfall, und seine Poesie nicht mehr ist als die Illusion einer Welt, die es nicht gibt.

The Extra

Ich will etwas poetisches sagen, etwas Bedeutendes, aber ich fühle mich so leer und ausgelaugt, dass es die Worte aus dem Mund eines anderen sprechen, die das ausdrücken, was ich momentan nicht kann. Ich habe die Ansprüche, etwas sehr besonderes zu schreiben, ich habe das Gefühl, nicht so gut zu sein, wie ihr in de Kommentaren schreibt. Es ist das Wundervollste, was man mir jemals gesagt hat. Ich weiß nicht, wie ich meinen Ansprüchen gerecht werden soll. Es ist eine Verpflichtung, die Maßstäbe zu erfüllen. Meine Worte sind so trivial, ich habe weder Stil noch Technik, noch Form. Ich gebe Gedanken wider, die andere schon längst besser formuliert haben, ich spreche nur über redundante Dinge. Sogar dieses Gefühl kann ein anderer besser ausdrücken als ich:
PLACEBO - THE EXTRA
I try every day
To think of something deep to say
Cos I would like to find the words
That deserve to be heard
Sounds like words are out of style
Silence beckons down the murder mile
I keep on talking to the hand
In a language I don't understand
If I am an extra in the film of my own life
Then who the hell is the director?
If I am an extra in the film of my own life
Will someone please turn off the camera?
Not to argue, not to fuss and fight
But there's a riot in my head
Streets are bleeding and democracy is dead
Let's fight until the end of days
Let's destroy and let's devastate
We keep on talking to the hand
In a language we don't understand
If I am an extra in the film of my own life
Then who the hell is the director?
If I am an extra in the film of my own life
Will someone please turn off the camera? 




Walking Contradiction

Mit meinem rotem Bustierkleid fühle ich mich ein bisschen overdressed. Meine Mutter mustert mich herablassend an ihrer Nase vorbei von oben nach unten. Ich bin nicht aufreizend, nein. Dazu fühle ich mich nicht wohl genug. Das Kleid hat nun einmal nicht die Länge einer Nonnenkutte, es hat nicht den tyischen konservativen Schnitt und die Farbe ist nicht die dezenteste. Aber das genügt schon. Es war nicht als Provokation gedacht, sondern ich wollte ihr lediglich gefallen. Ich hätte es hervorsehen müssen: Meiner Mutter brennen alle Lichter durch. Hätte sie noch irgendetwas in meinem Leben zu melden, würde sie jetzt den Mund aufmachen, aber in dem Moment wird ihr klar, dass sie rein gar nichts zu sagen hat, und sie schweigt.
Mit meinem roten Bustierkleid fühle ich mich wie die Verkörperung des Stilbruches. Ich komme mir wie ein Möbelstück vor, das absichtlich in das schäbige Lokal als Kontrastpunkt gewählt wurde. Unter den Blicken der Gäste entgleiten mit meine Bewegungen. Ich verschütte das Glas Wasser, das auf meinen Oberschenkeln landet. "Scheiße", fluche ich und greife zur Serviette. Gerade noch so schnell, um den Blick meiner Mutter zu sehen. Vermutlich betet sie später ein paar Rosenkreuze, um mich vor dem Scheiße-Satan zu schützen, denke ich mir, und bin froh, es nicht ausgesprochen zu haben.
Mit meinem roten Bustierkleid fühle ich mich wie im Blut der Schuldgeständnisse schwimmend. "Einer meiner besten Freunde ist vor einem Monat verstorben", flüstere ich in die insgeheime Stille. Als nichts kommt sehe ich über den Tellerrand kurz auf. Meine Mutter hat die Lieder nach unten geschlagen und hält das goldene Kettchen, das um ihren Hals wie Handschellen hängt, in ihrer Faust gedrückt. Die Knöchel treten weiß hervor. Als sie lautlos flüstert, spannt sich die dünne Haut auf den Wangenknochen wie ein Rosenblatt auf einer Streckbank. Ihre Kiefer treffen stumm aufeinander, aber ich will mir die Ohren zu halten, so unerträglich hört sich der Moment an. "Gott hat ihn zu sich geholt", sagt sie plötzlich mit einer verzerrten Gefühlswärme. Sie fragt nach dem Wie. Das Blut weicht aus dem Gesicht. Die Gewebefäden ihrer Haut scheinen zu reißen auf den Pfeilern der Streckbank, als ihr Unterkiefer den Halt verliert. Das Zurückschnalzen schmerzt in den Ohren, als sie sich bekreuzigt und ein Gebet ins Jenseits dazu wispert. Kommt er in den Himmel? Kommt Jo in den Himmel, wenn er sich selbst das Leben genommen hat? 
Mit meinem roten Bustierkleid fühle ich mich wie in einem Tarantino-Streifen. Die Hyper-Katholikin im Assi-Lokal. Die Magersüchtige im rosenroten Nutten-Kittel. Das Familientreffen im Abwasserkanal. Auf eine ironische Art passt es. Es spiegelt die Zustände perfekt wider.