In der großen, offenen Küche tanzen Jana und Flip um die Kochinsel herum, auf der Chris mit gelassener Körperhaltung sitzt, sich vom Ofen den Hintern wärmen lässt, und sein Bier trinkt. Chris und Flip/Philip sind Jules' Mitbewohner, Jana Flip's Freundin. Für eine Sekunde überkommt mich Traurigkeit. Zu sehr erinnern mich Flip und Jana an Jo und Ronnie, wie sie einmal waren. Die beiden Paare ähneln sich so stark in Optik und Charakter, dass es unheimlich ist. Und schwer für mich. Die Zutaten zum Pizza-Backen stehen schon auf den Theken verteilt. Ich musste mich lange überwinden, denn es ist die erste Pizza seit mehr als 5 Jahren. Ich sehe es schon vor mir: Wie ich vor der Pizza stehe und mich die Überlegung quält, wie ich meinen Teil der Pizza belegen soll. Mozarella und Käse? Eine Tomate oder zwei? Hat Paprika mehr Kalorien als Pilze?
Jules, Flip, Jana und ich unterhalten uns, während Chris den Teig ausrollt. Jules sitzt hinter mir auf der Insel und nimmt eher passiv an der Unterhaltung teil, weil er viel zu beschäftigt damit ist, an mir herum zu fummeln. Ich genieße es, wie meine Haut unter jeder Berührung Feuer fängt. Einmal drehe ich meinen Kopf leicht zur Seite, um ihn anzusehen. Er lächelt sanft und will mir mit der Hand das Mehl, das mir wohl an der Wange hängt, weg streichen, doch an seinem Handrücken hängt selbst Mehl und er verteilt nur noch mehr auf meinem Gesicht. Mehr amüsiert als wütend greife ich in die Mehltüte neben mir und wuschle durch sein schwarzes Haar. Einige Mehlkörner bleiben auf den Spitzen seiner Wimper hängen, und der Rest ist auf seiner Haut verteilt. Er sieht ein bisschen aus wie Robert Smith, lacht aber herzlich und greift ebenfalls ins Mehl, nimmt sich gleich eine Handvoll und wirft sie nach mir. Als ich es ihm gleichtue, weicht er allerdings aus und ich treffe - wie eigentlich hervorsehbar - Flip, der natürlich gleich zum Gegenangriff ausholt. Chris bekommt eine riesengroße Bombe auf den Rücken und antwortet mit Gegenfeuer. In einer Kettenreaktion stehen plötzlich alle an der Front und das Schlachtfeld ist bald mit einem weißen Zuckerguss verziert, der sich nur durch genaues Hinschauen von der weißen Welt auf der anderen Seite des Fensters unterscheidet. Als das Mehl aufgebraucht ist, lasse ich mich völlig erschöpft auf den Boden sinken, Jules an meiner Seite. Ich sehe ihn kurz mit einem verspielten Lächeln an, und beginne, einen Mehlengel zu machen. Er macht es mir lachend nach und irgendwie fühlt sich dieser kindisch naive Moment an wie pure Romantik. Echte Romantik, nicht das rosarote Roman-Szenario. Die echte Romantik, die einen durch Fleisch und Blut jagt und am ganzen Körper zittern lässt. Die Romantik, die einen gefangen nimmt und es plötzlich egal ist, mit wie vielen Kalorien man seine Pizza belegt.